Etappensieger-Interview mit Stefan Küng

Nachdem der Schweizer Stefan Küng (Groupama-FDJ) im Mannschaftszeitfahren das gelbe Leadertrikot erkämpfte und souverän über 3 Etappen verteidigte, gewann der Thurgauer das abschliessende Einzelzeitfahren in Bellinzona auf eindrückliche Art.

Tour de Suisse: Stefan, was für eine unglaubliche Tour de Suisse muss das letztes Jahr für dich gewesen sein?! Wie nach dem perfekten Drehbuch, oder?
Stefan Küng: Ich glaub es hätte nicht besser laufen können; mit dem Sieg im Teamzeitfahren, meinen Tagen in Gelb und wie Richie Porte dann den Gesamtsieg souverän verteidigte – und natürlich mit meinem Sieg am abschliessenden Zeitfahren in Bellinzona.
Ich denke, wenn man es vorab hätte planen können, dann so!

TdS: Dein ehemaliger Teamkollege Michi Schär erzählte uns von den Vorbereitungen auf ein Mannschaftszeitfahren. Wie aber bereitest Du dich auf ein Einzelzeitfahren vor?
SK: Beim Einzelzeitfahren findet der grösste Teil der Arbeit zu Hause, alleine statt. Man versucht das Zeitfahren im Training unter möglichst ähnlichen Bedingungen zu simulieren, um das Gefühl für das spezifische Zeitfahren zu erarbeiten, sowohl für die Beine wie den Kopf. Man sollte nicht ständig auf den Powermeter schauen müssen während dem Rennen, sondern wissen und spüren was geht.

TdS: Wie wichtig ist es, die Strecke eines Einzelzeitfahren zu kennen?
SK: Dies ist ein entscheidender Faktor; je kürzer das Zeitfahren desto wichtiger sind Streckenkenntnisse. Man muss genau wissen, welche Kurve man mit welchem Risiko nehmen kann, wie man die Kurven anfahren muss und wie viel Speedman jeweils raus nehmen muss.
Zudem ist es wichtig, dass man weiss wie man sich die Strecke einteilen muss und wo man sich seine Zwischenziele setzt.

TdS: Hast Du dieses Jahr beim Auftaktszeitfahren also einen kleinen Heimvorteil?
SK: Klar. (lacht)
Ich werde mir die Strecke sicher bald vor Ort in Langnau anschauen, um es ideal im Training simulieren zu können.

TdS: Was sind die wichtigsten Qualitäten, die ein Fahrer haben muss, um im Rennen gegen die Uhr gewinnen zu können?
SK: Man muss in der Lage sein, sich selber enorm quälen zu können.
Viele Rennfahrer verfügen über die Fähigkeit, sich in das Rad des Vordermannes zu „verbeissen“, wie ein Pitbull. Bei einem Zeitfahren hast Du diese Möglichkeit nicht, Du bist ganz alleine auf der weiten Strasse und musst dich nonstop selber pushen und darfst nie locker lassen. 

TdS: Wie motivierst Du dich während den eintönigen Zeitfahr-Trainings immer wieder ans Limit zu gehen und zu leiden?
SK: Schlussendlich ist Velofahren zwar schön – aber in den Trainings die wirklich schmerzen, braucht man unbedingt die Gedanken an Ziele. Sich das Ziel vor Augen halten und sich bewusst machen, wieso man sich das alles antut. Diese Gedanken helfen dann, noch eine Minute länger durch zu halten und nochmals eine Einheit zu fahren – genau diese harten Trainings können dann im Rennen den Erfolg ausmachen.

TdS: Im Vorfeld zum Zeitfahren an den Europameisterschaften letzten Sommer sagtest Du, dass Du dich erst in 2-3 Jahren zu den Top-Favoriten über längere Zeitfahr-Distanzen zählen würdest. Macht es wirklich so einen grossen Unterscheid, ob ein Zeitfahren 15km oder 45km lang ist?
SK: Ja, es macht schon einen Unterschied, ob man 15min oder eine Stunde unterwegs ist. Es ist ein Prozess diesen Rhythmus zu finden. Zudem ist es auch eine physische Frage; wenn man jung ist, verfügt man vielleicht noch nicht über die nötige Substanz um über die lange Distanz zu reüssieren. Das kommt dann mit dem Alter, wenn man mehrere gute Saisons hatte.
Vielleicht habe ich mich in der Vergangenheit auch noch nicht optimal auf ein langes Zeitfahren vorbereiten können und genügend Zeit dafür investiert.

TdS: Du hast also das Olympia-Zeitfahren 2020 als grosses Ziel vor Augen?
SK: Ja, definitiv. Tokyo 2020 steht schon lange bei mir gross in der Agenda.
Eigentlich seit ich wegen dem Sturz Rio verpasst habe. 

TdS: Wie schwierig waren die ständigen Cancellara-Vergleiche am Anfang deiner Karriere?
SK: Die sind sicher nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Es gab eine Zeit, wo ich mir auch selber Druck machte. Im Nachhinein weiss ich, dass es blödsinnig ist, sich mit jemandem wie ihm zu vergleichen.
Aber in Situationen wie damals an den Schweizer Meisterschaften, da sagte ich mir am Vorabend; Du musst Cancellara schlagen, dass ist deine letzte Chance. Mit so einem Mindset kann es nicht gut kommen, man fährt viel zu verkrampft. Dies hatte bestimmt auch seinen Einfluss, wieso ich schlussendlich schwer gestürzt bin.
Mittlerweile weiss ich, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss und habe ja auch schon einige schöne Erfolge feiern können und habe auch vor, da noch einige anzufügen.

TdS: Wie fühlt es sich eigentlich an, im gelben Trikot des Leaders durch die Heimat zu fahren?
SK: Es ist ein ganz spezielles Gefühl. Letztes Jahr war das Startwochenende in Frauenfeld ja noch in meiner Heimat. Man merkt als Schweizer Fahrer in gelb schon, dass alle Zuschauer deinen Namen rufen. Ich hoffe dieses Gefühl dieses Jahr erneut erleben und geniessen zu können.

TdS: Seit der neuen Saison bist Du ja nach all den Jahren im Schweiz-Amerikanischen Team BMC bei der französischen Equipe Groupama-FDJ. Wie anders ist die Philosophie bei den Franzosen? 
SK:Das Team existiert bereits über 20 Jahre und die Stimmung ist sehr familiär.
Für einen Fahrer wie mich, der sehr viel von sich erwartet und sich selber viel Druck macht, ist ein solches Team ideal. Hier wird mir alles geboten und ich kriege allen Support – ohne übermässigem Druck.

TdS: Du wirst im Juni ja erneut an der Tour de Suisse starten.
Für welches der beiden Zeitfahren rechnest Du dir grössere Chancen aus?
SK:Optimal wäre es beide zu gewinnen – und darauf werde ich mich auch vorbereiten.
Das Auftakts-Zeitfahren ist speziell, weil man da die Chance kriegt, das gelbe Trikot zu erobern. Man kann sich optimal und spezifisch vorbereiten, da man aus einer langen Trainingsphase kommt.
Beim zweiten Zeitfahren im Goms sieht es etwas anders aus. Da wird entscheidend sein, wie gut ich durch die ganze Tour de Suisse und über die Berge gekommen bin. Ich werde sicher die Möglichkeit haben, mich in der 2. Hälfte etwas zu schonen, um noch Körner für das zweite Zeitfahren zu haben.
Letztes Jahr in Bellinzona hat das gut geklappt.
Das Ziel ist also klar!(lacht)

TdS: Wir wünschen dir auf jeden Fall viel Erfolg und freuen uns dich im Juni am Start der Tour de Suisse zu sehen.