Etappensieger-Interview mit Nairo Quintana

Der kolumbianische Bergspezialist (Movistar) attackierte 30km vor dem Ziel und kämpfte sich zu einem imposanten Solo-Sieg in Arosa.

Tour de Suisse: Wie gut erinnerst Du dich noch an die 7. Etappe der Tour de Suisse 2018?
Nairo Quintana: Ja, ich erinnere mich gut. Ich hatte gerade ein paar wichtige Trainingswochen in Kolumbien hinter mir. Diese Etappe spielte für mich eine Schlüsselrolle: Sie war ein Härtetest für meine Kondition, und auch für mein Team war es wichtig, zu sehen, dass ich in Hinblick auf den Juli in Form bin.

TdS: Bis nach Chur verlief das Rennen relativ unspektakulär, eine grosse Fluchtgruppe führte das Rennen an. Dann änderte sich alles mit den ersten paar Metern der Steigung. War dein Angriff am Fuss der Steigung von lange her geplant?
NQ: Ja, das war alles Teil einer Strategie, die wir gemeinsam mit dem Team und vor allem mit unserem Sportdirektor José Luis Arrieta ausgearbeitet hatten. José hatte an dem Tag übrigens Geburtstag – ein doppelter Anlass zum Feiern also. Schon vor der Steigung legten wir gemeinsam mit Daniele Bennati etwas zu und beschleunigten in der Ebene. Wir wollten zu der grossen Ausreissergruppe von fast 30 Fahrern aufschliessen, die sich direkt nach dem Start gebildet hatte. Hier profitierten wir sehr von Víctor de la Parte. Seine Unterstützung war essenziell, um den Angriff zu lancieren.

TdS: Was geht einem durch den Kopf, wenn man am Fuss einer über 30km langen Steigung solo die Flucht ergreift?
NQ: Mir war bewusst, dass das sehr schwer und anstrengend werden würde. Gleichzeitig hatte mir die Leistung des Team gezeigt, dass sie mich so weit wie möglich begleiten würden. Und so kam es dann auch.

TdS: Niemand konnte dir folgen, die Nervosität in den Reihen von BMC war spürbar.
Wusstest Du aber um das lange flachere Stück im Mittelteil der Steigung?
NQ: Ja, und hier war De la Parte von zentraler Bedeutung für unsere Strategie: Ich konnte diesen ebenen Abschnitt unmöglich allein bewältigen. Ohne die Unterstützung der anderen und eine gute Zusammenarbeit im Team hätte ich den Vorsprung nicht halten können.

TdS: In diesem flacheren Teilstück hattest Du die Fluchtgruppe eingeholt, musstest aber alle Arbeit alleine verrichten. Ärgerte dich diese Situation, oder konntest Du die Gruppe Fahrer an deinem Hinterrad einfach ignorieren?
NQ: Dank der Unterstützung von De la Parte war ich auf dem ebenen Streckenabschnitt ja gar nicht ganz allein. Ausserdem war Mikel (Landa) hinter mir und ging mehrere Male zum Angriff über, um den Rhythmus des BMC-Teams zu stören. Ich selbst hatte ihn darum gebeten.

TdS: Richie Porte profitierte beim Anstieg erst von der intensiven Arbeit von Greg van Avermaet welcher ihn durch den Mittelteil führte und konnte sich am letzten Anstieg an die Fersen von Jakob Fuglsang heften. War deine Freude etwas getrübt, dass am Ende nicht mehr Zeit gegenüber dem Leader Richie Porte herausschaute?
NQ: Überhaupt nicht. Für mich persönlich war der Etappensieg schon ein Riesenerfolg, da es sich zudem um meinen ersten Sieg des Jahres handelte. Für das Team war das ausserdem angesichts der kommenden Herausforderungen eine enorme moralische Unterstützung. In solchen Momenten fängt man nicht an, darüber nachzudenken, ob der Vorsprung gross oder klein war: Ein Etappensieg bei der Tour de Suisse ist schon an sich etwas Besonderes.

TdS: Nach dem abschliessenden Zeitfahren in Bellinzona resultierte der 3 Schlussrang für dich. War das GC-Podest ein fixes Ziel für dich oder eher vor allem ein Etappensieg?
NQ: Der Gesamtsieg war nicht mein Hauptziel. Vielmehr hatten wir bei der Tour de Suisse im letzten Jahr das Ziel, Aufsehen zu erregen. Das haben wir dann auch erreicht mit dieser ersten kleinen «Hürde» in Arosa und beim Zeitfahren, das ziemlich gut verlief.

TdS: Als Rad-Profi bist Du fast auf der ganzen Welt unterwegs, was ist dir in der Schweiz aufgefallen? Was sind bleibende Eindrücke?
NQ: Besonders beeindruckt hat mich, wie ordentlich alles ist. Einzigartige Rennstrecken, sehr hübsche und ordentliche Ortschaften … Und die Fans hier sind zwar begeistert bei der Sache, aber dennoch sehr respektvoll. Die Qualitätsstandards des Rennens sind in vielerlei Hinsicht sehr hoch.

TdS: Vielen Dank, Nairo, und viel Glück für die Saison. Wir hoffen, dich im Juni wiederzusehen!
NQ:Vielen Dank! Ja, wenn es mit unserer Planung vereinbar ist, würde ich mich unglaublich freuen, euch entweder dieses Jahr oder sonst in den kommenden Jahren wiederzusehen.