Tour de Suisse Portrait-Serie: Gino Mäder (Bahrain – Victorious)

Gino Mäder gewann letzten Sommer die Königsetappe der Tour de Suisse und zeigte sich später mit einer sehr starken Leistung an der Spanien Rundfahrt. Wir sprachen mit Gino vor seiner Abreise Richtung Baskenland über seinen Durchbruch letzte Saison, die neue Generation an Schweizer Radfahrern und seine Zukunftspläne.

TdS: «Gino, Du erlebtest letzte Saison einen regelrechten Durchbruch. Gab es dazu Anfang Jahr Anzeichen oder wie bist Du vor einem Jahr in die Saison gestartet?»

Gino Mäder: «Der Winter davor war schwierig, mit dem Corona-Jahr und den Rennen welche fast bis in den Winter dauerten. Da hatte ich anfangs etwas Mühe mit der Motivation.
An der UAE Tour lief es harzig. 
Später aber bei Paris-Nizza kam ich fast zu meinem ersten World-Tour Sieg. Ich konnte ihn beinahe riechen!
lacht

Von da an kam ich in einen Flow, zusammen mit dem Team in welchem jeder performte und viele Resultate lieferten. Dies gab mir die Hoffnung, dass Du’s auch schaffen kannst.
Dann musst Du einfach versuchen, die Chancen zu nutzen…» 

TdS: «Nach dem Giro-Erfolg kamst Du an die Tour de Suisse, wo Du mit einem starken Zeitfahren begonnen hast und bis zur 7 Etappe in der Top10 der Gesamtwertung fuhrst.
Dann hattest Du an der 7. Etappe einen schlechten Tag.
Wie konntest Du dich danach fangen und neu motivieren?»

Gino Mäder: «Ich bin als designierter Team-Leader an den Start gegangen. Bis zu der 7. Etappe lief es gut – dann kam die Krise. Ich hätte da am liebsten aufgehört – es war richtig schwer und demotivierend.
Auf das Zeitfahren über den Oberalppass aber habe ich mich schon die ganze Saison gefreut. Mal etwas anderes, ein Zeitfahren welches meinem Fahrertyp entgegenkommt.
Ich habe das Berg-Tal-Zeitfahren als eigenes Event wahrgenommen – die Gesamtwertung war weg.
Ich freute mich und wollte mein Bestes zeigen, und das kam ja dann wirklich gut. Dies pushte mich.
Also nahm ich mir für die abschliessende Königsetappe vor, befreit zu fahren und positiv abzuschliessen.»

TdS: «Dies gelang dir ja dann auch auf eindrückliche Art und Weise.
Als am Gotthardpass Michael Woods angriff, konnte ihm nur Matthias Cattaneo folgen. Du hast erst später die Verfolgung aufgenommen – warum?»

Gino Mäder: «Als Woods los fuhr, war der Angriff so explosiv, dass ich nicht folgen wollte/konnte.
Später dachte ich mir, dass eigentlich fast nur noch die Gesamtklassements-Fahrer um mich in der Spitzengruppe waren und in einem Sprint gegen die Anderen in der Gruppe rechnete ich mir nicht all zu viel aus.
Also versuchte ich mein Glück in der Flucht.
Und mit Woods hatte ich das „Häschen“ vor mir welches es ein zu holen galt.
Auf der Passhöhe erkannte ich dann Freunde im Publikum welche mir zuriefen. Das trieb mich nochmals an!»

TdS: «Du bist dann zusammen mit Michael Woods nach Andermatt gekommen, wo ein Sprint die Entscheidung bringen musste. Was ging dir da durch den Kopf, wie erlebtest Du den Sprint?»

Gino Mäder: «Den Finish kannten wir aus der Ankunft des Zeitfahrens vom Vortag. Michael wollte unbedingt als erstes in die letzte Kurve und zog den Sprint sehr früh an. Zu früh dachte ich mir.
200m vor dem Zeil legte er noch einen Zacken zu und das verunsicherte mich kurz.
Aber dann lies er etwas nach und ich ging aus seinem Windschatten und kam ihm immer näher. Bei 50m realisierte ich, dass er nicht mehr zulegen konnte und ich einfach meinen Speed halten musste.
Und die Königsetappe gewinnen werde!
Das war der coolste Moment überhaupt – ein Gefühlsausbruch der dich fast ein wenig überwältigt!»
lacht

TdS: «Die Tour de Suisse 2021 erfuhr mit dem Sieg am Auftakts-Zeitfahren durch Stefan Küng, dem Sieg von Stefan Bissegger in Gstaad und deinem Erfolg einen regelrechten Schweizer Höhenflug. Nahmst Du dies selber im Renntross auch war?»

Gino Mäder: «Was uns alle verbindet, ist dass wir mit Swiss Cycling durch eine ähnliche Schule sind. Wir haben uns in Aigle getroffen, später in Grenchen, sind alle im Bahn-Vierer gefahren. Das verbindet und schweisst dich zusammen. Und wenn Du dann siehst, wie Küng in seiner Disziplin zu einem der Weltbesten wird, Marc Hirschi und Stefan Bissegger ohne grossen Anlauf in der World-Tour durch starten… dann freust Du dich für die Kollegen und Du denkst dir, dass kann ich auch!
Und für Europa- und Weltmeisterschaften so wie Olympia bringt uns dieser Teamspirit natürlich viel.
Man darf träumen in der Schweiz.»
lacht

TdS: «Du sprichst diese neue, ambitionierte Generation an Schweizer Radfahrern an.
Was eigentlich noch fehlt, wäre ein Gesamklassements-Fahrer….»

Gino Mäder: «Ich hatte nun eine gute Saison, wie weit mich mein Talent, Potenzial und auch meine Arbeitsethik bringen kann, wird sich zeigen.
Zur Zeit nehme ich die Erwartungshaltung nicht als belastend war.
Aber ich beginne schon selber auch Ambitionen in diese Richtung zu formulieren…»

TdS: «Wie würde denn die perfekte Tour de Suisse für dich aussehen, bei welcher Streckenführung würdest Du sagen: Das ist meine Tour de Suisse!»

Gino Mäder: «Ich finde unsere Landesrundfahrt zeichnet sich dadurch aus, dass wir beinahe unbeschränkte Möglichkeiten haben. Und zwar nicht nur in den Alpen – die Tour de Suisse hat ja auch immer diese Klassiker-mässigen Etappen mit kurzen aber sehr vielen Anstiegen. Diese landschaftliche und topografische Vielfalt zeichnet die Tour de Suisse aus.
Natürlich fände ich es auch cool, eine Woche einfach in den Alpen auf und ab zu fahren! Juhui!
Aber dies wäre keine Tour de Suisse.
Ideal ist der Mix und die letzten Ausgaben kamen sehr nah an eine Ideal-Tour de Suisse.
Vielleicht könnte das Zeitfahren auch mal oben auf dem Berg enden…»
lacht

TdS: «Nun stehst Du erneut am Anfang einer neuen Saison. Wie sieht deine Saison-Planung aus?»

Gino Mäder: «Ich werde an der Romandie, dann Tour de Suisse und hoffentlich Tour de France fahren. Der Start an der Tour de France wird sicher sportlich ein Highlight. Es ist das grösste Rennen, und wie ich als Kind an der Alp d’Huez Stand, war es natürlich ein grosser Traum, da selber Mal mitfahren zu können.
Persönlich wird sicher die Tour de Suisse ein Highlight. Mit dem Abschluss-Wochenende letztes Jahr verbinde ich sehr gute Erinnerungen an die Landesrundfahrt – auch schon bei meiner ersten Teilnahme damals mit Dimension Data.
Und wer weiss, vielleicht klappt es dieses Jahr ja besser mit dem Gesamtklassement.
Und wenn am Ende „nur“ eine Etappe herausschauen würde, wäre das auch ok.

TdS: «Zwischen den Tagen damals am Strassenrand der Alp d’Huez und heute hat sich einiges geändert. Radfahren ist nun dein Beruf. Was würdest Du sagen, ist die schönste Seite am Profi-Dasein?»

Gino Mäder: «Der Profiradsport ist natürlich, wo von ich immer träumte als Kind, später in der Berufslehre…
Radfahren als Sport bringt mir so viel Zufriedenheit.
Natürlich bringt der Profiradsport auch Stress mit sich – manchmal ist es auch schwierig AUF das Velo zu kommen.
Aber wenn ich einmal auf dem Rad bin, dann sind meine Gedanken leicht.
Es ist ein pures Sein im Moment.
Die monotone Aufgabe auf dem Velo kann dich komplett ausfüllen.
Die simple Bewegung zu perfektionieren, dieses stetige Streben nach Perfektion – welche wohl unerreichbar ist… obwohl bei Tadej (Pogacar) sieht es nah daran aus.
Dich selber zu pushen, deine Limits auszuloten, dich selber zu verbessern und zu verwirklichen, diese Faktoren schätze ich sehr an unserem Sport.
Es gibt dir auch viel Freiheit und Zeit, welche Du in dich investieren kannst!

TdS: «Gino, ganz herzlichen Dank für dieses ausführliche Gespräch und wir wünschen dir alles Gute bei deinen Zielen und freuen uns dich im Juni am Start zu sehen!»